Von Erwachsenen, die Angst davor haben, Kinder zu kränken und Kindern, die eine Chance kriegen sollten, Verlieren zu lernen!
In letzter Zeit sind mir – privat und in den Medien – Fälle untergekommen, die mich mit großem Bedenken zurückgelassen haben. Drei Beispiele gefällig?
- Eine Mutter bittet die Kindergärtnerin, in der Gruppe keine Spiele zu spielen, bei denen es um Gewinnen oder Verlieren geht. Ihr Kind solle sich nämlich nicht mit anderen messen und es wäre stets traurig, wenn es verliert
- Eine Lehrerin in der Volksschule spielt mit den Kindern Fußball – jedoch mit eigenen Regeln. Dabei darf jedes Kind den Ball in jedes Tor schießen und es gibt danach zwei Gewinnermannschaften
- Ein Vater rastet am Fußballplatz komplett aus, weil sein Sohn vom Schiedsrichter die rote Karte bekommt. Der Unparteiische wird dabei von Vater schwer verletzt
Diesen Fällen liegt eines zugrunde: die Angst vorm Verlieren. Hierbei zeigt sich, dass es Erwachsene gibt, die es selbst nicht aushalten, wenn das Kind verliert und die nicht möchten, dass ihre „Schützlinge“ damit konfrontiert werden.
Warum mir die Tatsache, dass so etwas passiert, Kopfzerbrechen bereitet? Weil es für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern wichtig ist, dass sie verlieren lernen. Warum, dass möchte ich mit diesem Artikel klar machen.
Warum verlieren lernen wichtig ist
Klar – niemand verliert gerne. Es fühlt sich nicht gut an, letzter zu sein oder auszuscheiden. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass verlieren nicht so schlimm ist. Manchmal ist es nämlich schlimm! Man kann darüber traurig sein, wie auch wütend auf sich selbst und die anderen. Es kränkt einen für den Moment, weil das Gefühl entsteht, etwas nicht gut genug gemacht zu haben.
Und dennoch steckt in genau diesem Prozess auch so viel Potential. Wie immer im Leben, sind es emotional aufregende Situationen, die eine Veränderung in uns herbeiführen. Das ist bei Kindern nicht anders. Das heißt, Kindern die Möglichkeit, Verlieren zu lernen vorzuenthalten, bedeutet auch, ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu nehmen. Und zwar die Entwicklung von Persönlichkeitsstrukturen, die dafür sorgen, später einmal mit den kleinen und großen Kränkungen des Lebens fertig zu werden.
Und die kommen – darauf darf man sich verlassen! Man kann als Erwachsener Kinder zwar vor dem Verlieren bei Spielen beschützen, nicht aber vor den verschiedenen Verlustsituationen, die das Leben einfach mit sich bringt. Das können sein:
- jemand anderer interessiert sich nicht für uns und weist uns ab
- die erste(n) großen(n) Liebe(n) gehen in die Brüche
- der Fisch, den wir an der Angel haben, entkommt – oder die Katze, die wir einfangen wollen, hat etwas dagegen und läuft davon
- In der Arbeit werden Stellen abgebaut und wir verlieren unseren Job
- Wir möchten unbedingt an einen Bergsee, doch das Wetter zwingt uns, umzukehren
Diese Beispiele zeigen, dass wir im Alltag oft mit kleinen und großen Verlusten gegenüber jemand anderen konfrontiert sind. Ob wir nun gegen einen anderen Menschen, die Natur oder das Wetter verlieren ist dabei gar nicht so wichtig, denn in allen Fällen sind wir die Unterlegenen. Das löst natürlich Frust aus.
Im folgenden möchte ich auf einige Mechanismen und Eigenschaften eingehen, die beim Verlieren lernen eine Rolle spielen. Es sind solche, die an der Entwicklung von stabilen und selbstbewussten Persönlichkeiten beteiligt sind und dafür sorgen, mit dem Schwierigkeiten des Lebens umzugehen. Mit den großen wie auch mit den kleinen.
Verlieren fördert …
Frustrationstoleranz
Es ist wohl DIE zentrale Eigenschaft, wenn es darum geht, Kränkungen wegzustecken: die Frustrationstoleranz. Sie beschreibt die Fähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen, ohne dabei aggressiv oder depressiv zu reagieren. Ganz einfach erklärt: wer eine hohe Frustrationstoleranz aufweist, kann einiges an Rückschlägen aushalten und reagiert dabei immer noch förderlich für sich selbst. Im Gegenzug dazu wirft es jemandem mit niedriger Frustrationstoleranz schnell mal aus der Bahn – kleine Kränkungen können schon zu gewaltvollen Wutausbrüchen oder sozialem Rückzug mit starken Selbstzweifeln führen.
Eine hohe Frustrationstoleranz geht also einher mit hoher Impulskontrolle und guten Selbstregulationsfähigkeiten. Das heißt nicht, dass die Enttäuschung nicht als traurig oder schlimm empfunden wird, oder dass man keine Wut verspürt. Aber die Reaktion darauf ist – wenn man so will – konstruktiv. Solche Personen haben oft gute Regulationsstrategien in petto, auf die sie in den bescheidenen Situationen des Lebens zurück greifen.
Wie wichtig eine gut ausgeprägte Frustrationstoleranz ist, zeigt sich an Erwachsenen: viele psychischen Probleme gehen einher mit einer niedrig vorhandenen Toleranz Kränkungen gegenüber. Man hat herausgefunden, dass Neurotizismus – einer Eigenschaft, die eng mit Angststörungen und Depressionen in Verbindung steht – mit einer geringen Frustrationstoleranz zusammenhängt. Probleme am Arbeitsplatz, Suchtproblematiken oder Aggressivität gehen ebenso damit einher.
Das Schöne an der Frustrationstoleranz ist aber, dass sie kleine Kinder von Haus aus zur Genüge haben. Haben Sie einem Kind schon einmal beim Gehen lernen zugesehen? Oder wenn es versucht, einen Baustein ins richtige Fach zu stecken? Genau – sie versuchen es so lange, bis es klappt. Manchmal verlangen sie nach Hilfe, manchmal werden sie zornig dabei, aber das Ziel ist klar: sie wollen es können und lassen sich nicht entmutigen.
Genau diese Fähigkeit, sich nicht klein kriegen zu lassen von Enttäuschungen, wird beim Verlieren eines Spiels weiter aktiviert. Das heißt – Kinder müssen gar nicht lernen, Frust auszuhalten. Man braucht es ihnen nur nicht durch zu gut gemeintes Beschützen abgewöhnen.
Empathie
Das Mitfühlen mit anderen Menschen ist eine wesentliche Eigenschaft unseres sozialen Zusammenlebens. Dabei fällt es einem umso leichter, die Gefühle des anderen nachzuvollziehen, je besser er selbst dieses Gefühl kennt.
Natürlich gibt es generell sehr empathische Menschen, die sich in fast alle Zustände hineinversetzen können. Doch gehen wir einmal vom ganz normalen mittel-empathischen Kind aus. Wenn dieses Kind nun niemals lernt, zu verlieren – wie leicht oder schwer wird es andere in solchen Situationen verstehen können?
Und früher oder später wird es auf Menschen treffen, die sich in der Situation befinden, verloren zu haben. Wie oben erwähnt, macht das Leben ja nicht Halt vor Kindern, die vom Verlieren immer ferngehalten wurden. Und auch nicht vor deren Mitmenschen. Und genau für diese ist es wesentlich angenehmer und hilfreicher, eine Person an seiner Seite zu haben, die tröstet und sagt „Ich versteh dich!“. Und das auch wirklich so fühlen kann, weil sie es kennt.
Moralische Entwicklung
Eine wesentliche Eigenschaft, die beim Regelspiel (also klassischen Gesellschaftsspielen oder Sportarten) gelernt wird, ist Fairness. Sich an vorgegebene Regeln zu halten, weil sie genau so Sinn machen, gehört ebenso dazu. Spielt man zuhause, ist es im gegenseitigen Einvernehmen natürlich erlaubt, Regeln zu ändern – aber an diese hält man sich dann.
Dass manche Regeln vielleicht zum eigenen Nachteil, aber zum Vorteil aller sind, nennt man dann Fair Play. Natürlich wäre es cool, wenn man einfach alle umschubsen könnte, um zum Ziel zu gelangen – aber man selbst möchte das wohl auch nicht. Von daher lernt man beim Regelspiel den kategorischen Imperativ („Was du nicht willst das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“) bestens kennen. Auch wenn es heißt, dass man verliert, weil man sich eben nicht unfair verhalten hat.
In einer spannenden Studie zu Kampfsportunterricht in der Schule stellte sich übrigens heraus, dass die Kinder den Wunsch hatten, beurteilt zu werden. Nicht aber nach dem Können, sondern danach, wie fair und prosozial sie sich dabei verhielten. Dies zeigt, wie schön Kinder ihre eigene Moralentwicklung mitgestalten können. Und das, trotz oder gerade wegen Gewinnen-oder-Verlieren -Spielen!
Soziale Kompetenz
Aufbauend auf die Frustrationstoleranz, die im Regelspiel gefördert wird, steigern sich auch die sozialen Kompetenzen. Weiter oben habe ich schon erklärt, dass eine hohe Frustrationstoleranz mit einer guten Impulskontrolle einhergeht. Diese Fähigkeit, seine Impusle im Griff zu haben, machen einem das soziale Leben leichter.
So hat sich in Studien gezeigt, dass Eigenschaften wie soziale Orientierung, Offenheit, Handlungsflexibiltät und Selbststeuerung eng mit Frustrationstoleranz zusammenhängen. Dabei handelt es sich aber nicht bloß um eine positive Korrelation, sondern die sozialen Kompetenzen gründen sich auch auf eine hohe Frustrationstoleranz (im Regressionsmodell spricht man von signifikanter Vorhersage).
Man kann sich somit durchaus folgenden Gedankengang erlauben: durch das „Verlieren lernen“ steigt mit der Zeit die Frustrationstoleranz, und somit werden auch die sozialen Kompetenzen positiv beeinflusst.
Selbstbehauptung und Selbstwertstärkung
Haben Sie schon einmal etwas mehrmals versucht? Hat es erst beim dritten oder vierten Anlauf geklappt? Wie froh waren Sie nachher drüber?
Viele erfolgreiche Menschen zeichnet genau das aus: sie haben nicht aufgegeben, es immer wieder versucht. Weil der Wunsch, es zu können, größer ist als die negativen Gefühle über die Niederlage. Ich erinnere mich an ein Beispiel aus meinem Leben, erst vor kurzem so passiert: Mein Vater brachte mir das Kartenspiel „Schnapsen“ bei. Er war um Welten besser als ich. Immer. Mein Mann dann ebenso. Trotzdem habe ich es immer gerne gespielt. Mit der Zeit lernte ich es echt gut zu spielen, die Siege wurden immer häufiger. Und letztens besiegte ich nach vielen Jahren Übung meinen Vater das erste Mal! Meine Freude war riesig, das dürfen Sie mir glauben. Ich fühlte mich richtig stolz!
Durch das „Gewinnen-wollen“ werden unsere Selbstbehauptungsfähigkeiten aktiviert. Wir kämpfen mit uns selbst dafür, es einmal zu schaffen. Dieses Gefühl stellt sich aber nicht ein, wenn Gewinnen selbstverständlich ist. Denn dann gibt es ja keinen Grund, sich behaupten zu müssen. Motivation braucht aber einen Grund. Beim Verlieren und Gewinnen können Kinder lernen, Strategien zu entwickeln, um ihr Ziel zu erreichen. Schaffen sie es dann tatsächlich, ist diese Freude viel wertvoller, als wenn der Sieg inflationär verfügbar ist.
Krisenfeste Beziehung
Es kommt immer wieder mal vor, dass man in der Elternberatung mit der Frage konfrontiert ist: „Was, wenn mich mein Kind nicht mehr mag, wenn ich es zurückweise?“. Also erstmal zur allgemeinen Beruhigung: es muss schon sehr, sehr viel furchtbares passieren, dass einen das eigene Kind nicht mehr mag. Nur weil sie vielleicht einmal eine halbe Stunde ziemlich wütend auf einen sind, heißt das nicht, dass sie einen nicht lieben – und umgekehrt.
Das kann beim Verlieren natürlich auch geschehen: das Kind wirft einem böse Blicke zu, stampft beleidigt ins Zimmer und will „nie mehr mit dir spielen“. Glauben Sie mir, das legt sich in kurzer Zeit. Kinder haben die wundervolle Angewohnheit, nicht nachtragend zu sein.
Sie können diese Situation sogar für sich nutzen, indem Sie ihm trotz ihrer Überlegenheit im Spiel mit Respekt begegnen. Ist es wütend, zeigen Sie sich nicht mitleidig, aber verständnisvoll. Und wenn Sie nach dem Sieg dem Kind dieselbe liebevolle Zuneigung schenken wie sonst auch immer, wird es eines verstehen: die Beziehung bleibt stabil, auch wenn einmal nicht etwas so läuft wie geplant!
Kognitive Fähigkeiten
Ebenfalls eine Sache der Anstrengung ist es, kognitiv gefordert zu sein. Doch sein Oberstübchen benutzt man meist nur dann angestrengt, wenn es um etwas geht und wenn es Sinn macht, Energie auf das Denken zu verschwenden.
Angenommen, Sie backen gerne und gut. Nach dem zehnten perfekt gelungenen Kuchen können Sie das Rezept aus dem ff und denken sich vielleicht gar nicht mehr viel während des Backens. Doch angenommen, nach dem zweiten, vierten und neunten Mal wird der Kuchen nicht wie gewünscht – wie werden sie beim jeweils nächsten Mal an die Sache herangehen? Richtig – konzentrierter und wohlüberlegt.
Genauso geht es einem Kind, wenn es ab und zu verliert. Es wird seine Fehler vom letzten Mal analysieren, neue Strategien entwickeln und mit mehr Aufmerksamkeit bei der Sache sein, wenn es gewinnen will. Und das fördert dann vielerlei kognitive Fähigkeiten wie z.B. Handlungsplanung und Konzentration.
Wie kann ich einem Kind verlieren lernen?
Verlieren lernen ist also wichtig für die weitere Persönlichkeitsentwicklung. Das mit dem „Verlieren können“ ist bei Kindern mit entsprechendem Alter und/oder Temperament allerdings oft schwierig. Während manche Kinder von Natur aus einfach mit einer hohen Frustrationstoleranz ausgestattet sind, gibt es etliche kleine „Rumpelstilzchens“, die sich furchtbar darüber ärgern, wenn sie verlieren. Nicht selten fliegt dann das ganze Spielbrett, oder das Kind sitzt schmollend auf der Bank und meint „Ich spiel sicher nicht weiter!“.
Hier sind dann wir Erwachsenen gefragt, das Kind dabei zu unterstützen, verlieren zu lernen. Ich weiß, dass man gerade bei sehr sensiblen Kindern oder solchen, die schnell wütend werden dazu neigt, ihr Verlieren zu vermeiden. Wie oben beschrieben, ist ihnen damit für ihre weitere Entwicklung aber nicht geholfen. Also braucht es Methoden, mit denen das Kind lernen kann, mit dem Verlieren umzugehen.
Vorbild sein
Lernen am Modell ist nach wie vor eine der effektivsten und besten Lernmöglichkeiten. Das Konzept hat nicht umsonst viele Erziehungskonzepte und – strömungen überlebt 😉 . Im Fall des Verlierens bedeutet dies nichts anderes, als selbst ein guter Verlierer zu sein.
Dazu gehört zum einen natürlich, seine Impulse unter Kontrolle zu haben und nicht auszurasten, wenn Sie verlieren. Weiters aber auch, es nicht als „nichts“ zu überspielen – es ist ja immerhin eine kleine Enttäuschung. Sie dürfen eine „Ach schade“ – Position einnehmen, um die Authentizität dieser Situation zu wahren.
Das entscheidende liegt nämlich in dieser Handlung: Sie finden es ein wenig traurig, dass sie verloren haben, weil Sie sich ja angestrengt haben, gratulieren dem Sieger aber dennoch. DAS ist Fair Play – Verhalten! Und genau das kann das Kind sich von Ihnen abschauen. Denn die Traurigkeit oder Wut wird es beim Verlieren vermutlich spüren (die kann man nicht einfach mit „Macht-nix“ weg negieren), aber es sieht, dass man den anderen trotzdem mit Respekt behandelt.
Im übrigen können auch Geschichtenfiguren tolle Vorbilder sein! Vielleicht finden Sie ein Märchen oder eine Geschichte, in der die Protagonistenfigur verliert – und die Situation dann aber gut meistert (in „Gregs Tagebuch“ gibt es immer wieder solche Szenen). Auch mit FreundInnen zu spielen, die angemessenes Verlieren beherrschen, kann dem Kind helfen, diese erwünschten Verhaltensweisen zu übernehmen.
Gefühle benennen
Diesen Punkt kann man wirklich zu jedem Thema anfügen. Klar, nichts regelt Konflikte so gut und erfolgreich, wie über seine Gefühle zu sprechen. Gerade Kinder brauchen aber oft noch Unterstützung dabei.
So ist es angeraten, sich auch beim Verlieren lernen auf die verbalisierte Gefühlsebene zu begeben. Niemand wird gerne beschwichtigt, wenn er traurig oder wütend ist oder sich schuldig fühlt. Ein „Du brauchst dich nicht so zu ärgern“ bewirkt meist das Gegenteil – das kennen Sie bestimmt von sich selbst. Man ärgert sich – Punkt. Und genau das soll und darf so angesprochen werden.
Verliert ein Kind und schmollt, ist es also an Ihnen, Verständnis zu zeigen für seine Situation. Ein „Ich weiß, du wolltest gewinnen. Jetzt ärgerst du dich, weil es nicht geklappt hat“ kann dabei oft schon reichen. Manche Kinder wollen vielleicht auch getröstet werden – auch hier ist die Traurigkeit anzuerkennen.
Sie dürfen natürlich auch Ihre eigenen Gefühle benennen. Ein gesunder Erwachsener fühlt im Falle des Verlierens eines Spiels natürlich nicht so heftige Emotionen wie ein Kind, dennoch kann man sagen, dass man sich ein wenig ärgert, weil man sich ja angestrengt hat. Oder auch, dass man sich freut, weil man gewonnen hat. Denn auch faires Gewinnen will gelernt sein!
Gemeinsam Lachen
Es gibt Ansätze, die den Menschen als „Homo Ludens“ bezeichnen, also als spielendes Wesen. Das Spiel ist ein wesentliches Instrument unserer Entwicklung, das freie Spiel ebenso wie das Regelspiel. Die Ungezwungenheit des Spiels, gepaart mit der sozialen Komponente, macht es für uns so angenehm.
Dabei liegt ein großer Faktor am gemeinsamen Spaß. Zusammen zu lachen ist wohl der beste Kleber zwischen zwei Menschen. Situationen, in denen gemeinsam gelacht wird, werden positiv konnotiert und möchten immer wieder hergestellt werden. Das heißt, wenn sie beim Spielen den Spaß nicht vergessen, wird das Kind irgendwann des Spaßes wegen spielen wollen – dann ist gewinnen oder verlieren nebensächlich.
Spiegeln
Gehen einem die Ideen aus, was man denn noch tun könnte, um dem Sprössling das Trotzen, Schreien und Wüten abzugewöhnen, hilft ein Mittel erstaunend oft: das Spiegeln. Auch im Falle des Verlieren Lernens kann es angewandt werden – und ich habe es bei Kindern, die sehr schlecht verlieren können, schon mehrmals erfolgreich getestet!
Die Idee ist einfach wie genial: man pfeift auf seine Vorbildrolle und begibt sich auf dieselbe Ebene wie das Gegenüber. Ein bisschen schauspielerisches Talent schadet dabei nicht 😉 . Das heißt, wenn das Kind schmollend wegrennt, machen Sie das ebenso – im besten Fall kurz bevor es das Kind selbst macht, damit es Sie sieht. Wirft es für gewöhnlich das Spielbrett um, tun Sie ihm gleich. Und rennt es weinend vom Spielfeld, gehen Sie ihm nach und stampfen ebenso weinend auf (andere Zuschauer müssen Sie einfach getrost ignorieren 😉 ).
Was passiert? In den meisten Fällen ist das Kind ziemlich perplex, weil es mit so einer Reaktion nicht rechnet – deshalb das Spiegeln nur selten, aber gezielt einsetzen, damit es sich nicht „abnützt“. Ihm wird das eigene Verhalten vor Augen geführt. Danach braucht man gar nicht den Moralapostel raushängen lassen („Siehst du, so machst du wenn du verlierst“) – das erledigt das Kind schon mit sich selbst.
Menschen verändern ihr Verhalten oft auch, wenn sich ihre Rolle ändert. Sind Sie nun die traurige Personen nach dem Verlieren, kommt das Kind in vielen Fällen in die Rolle des „Trösters“ – und steigt somit aus seinem alten Muster aus. Dosiert angewandt, ist das Spiegeln ein kleines „Zaubermittel“ in der Erziehung – auch beim Verlieren lernen.
Gute Abwechslung zwischen den Spielen
Um die Chancen zu gewinnen ausgewogen und die Spannung hoch zu halten, empfiehlt sich, auf eine gute Abwechslung zwischen den Spielen zu achten. Immerhin sind Menschen in unterschiedlichen Spielen unterschiedlich gut. Diese Tatsache kann man sich zunutze machen, wenn man dem Kind verlieren lernen will!
Zum einen schafft es Entscheidungsspielraum für das Kind, indem man sich gemeinsam mit ihm immer wieder die Frage stellt: „Was spielen wir jetzt“? Zum anderen kann sich jeder einmal sein Talent ausspielen. So sind zum Beispiel Kinder im Volksschulalter bei „Halli Galli“ fast unschlagbar, weil sie eine viel schnellere Reaktionszeit aufweisen als Personen über 30. Oder sind beim Abfangen spielen schneller, weil sie flinker und wendiger sind.
Sie dagegen haben durch ihre Erfahrung bei „Uno“ oder beim Fußballspielen vielleicht viele Strategien und Tricks drauf – die das Kind dann von Ihnen lernen kann. So werden individuelle Stärken eingebracht und der Spaßfaktor bleibt hoch.
Aktivitäten in der Natur
Die Natur ist der beste Lehrer! Nicht nur, dass man in der Natur die biologischen, chemischen und physikalischen Gesetze „begreifen“ lernt – sie zeigt einem auch die Grenzen des eigenen Tuns auf. Nicht alles ist in der Natur so möglich, wie wir uns dann im Kopf ausmalen. Wir sind dabei manchmal einfach der „Verlierer“ – eine wichtige Lektion, die wir draußen lernen können.
Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Kind, das sehr schlecht mit Frustrationen umgehen konnte und sofort zornig wurde, wenn etwas nicht so lief wie gewünscht. Es war ein richtig stur, und die Eltern wie die Kindergärnterin beinahe am verzweifeln. Eines Sommers folgte ein Urlaub am Bauernhof – und plötzlich verstand das Kind das Prinzip des „Leider, es geht halt nicht“. Hühner, die sich nicht fangen lassen wollen, Dämme, die einfach zu schwach sind für die Kraft des Wassers, und Bäume, die sich einfach nicht erklettern lassen, weil die Rinde zu glatt und die Äste zu hoch sind.
Der anfänglichen Enttäuschung über diese Dinge folgte tiefes Verständnis. Immer, wenn ihm etwas nicht gelang, erinnerten die Eltern das Kind an diese Dinge – und es akzeptierte, dass es Prozesse gibt, die es eben nicht beeinflussen konnte.
Diese tiefen Erfahrungen, die uns Aktivitäten in der Natur zuteil werden lassen, können also auch die Frustrationstoleranz erhöhen – vor allem, wenn Kinder ständig die Gelegenheit dazu haben, draußen zu agieren.
Mannschaftssport
Kinder eine Mannschaftssportart ausüben zu lassen, eröffnet viele Möglichkeiten. So können sie hier angemessen verlieren lernen, weil sie durch andere Kinder Rollenmodelle erhalten. Sie lernen, sich spielerisch auszuagieren und ein klares Ziel zu verfolgen.
Außerdem zeigen Kinder, die Mannschaftssport betreiben, weniger Sozialangstsymptome als solche, die nur im Einzelsport tätig sind. Teamsport ist also förderlich für die sozialen Kompetenzen. Außerdem ist gemeinsam verlieren leichter als alleine, oder?
Kontraproduktive Reaktionen, wenn das Gegenüber verliert
Ganz kurz zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, welche Verhaltensweisen von Erwachsenen oder anderen Kindern hinderlich für das verlieren lernen sind.
- Auslachen
- Erniedrigen
- Herunterspielen
Das sollte sich eigentlich von selbst erklären, ich möchte es aber dennoch nicht unerwähnt lassen! Auch wenn es wichtig ist, dass das Kind ab und zu verliert, so heißt das keinesfalls, dass man mit Schadenfreude und Bewertungen reagieren soll. So wird das Verlieren zum unangenehmen Zustand, den man dann vielleicht längerfristig vermeiden will. Einen adäquate Frustrationstoleranz erlernt man so keinesfalls.
Das gilt übrigens auch umgekehrt: Auch von Seiten der Kinder soll kein Auslachen und Erniedrigen geduldet werden. Da müssen Erwachsene Stellung beziehen und klar kommunizieren, dass dies verletzend ist.
Verlieren lernen mit Herz!
Eines ist klar: Die allermeisten Erwachsenen wollen nicht, dass Kinder traurig oder zornig sind und sich schlecht fühlen. Das ist absolut nachvollziehbar. Es ist auch wichtig, Kinder vor schädlichen Einflüssen zu beschützen, keine Frage.
Zu Verlieren ist jedoch kein schädlicher Einfluss, von dem man Kinder fernhalten muss. Ganz im Gegenteil: verliert ein Kind hin und wieder beim Spiel, so kann es daraus viele Fähigkeiten für seine Entwicklung aktivieren. Weder ständige Frustration, noch niemalige ist förderlich für die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen – wie immer braucht es einen Mittelweg.
Man braucht sich ja nur die Frage stellen: „Will ich, dass mein Kind später einmal mit Hindernissen im Leben umgehen kann?“. Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten, dann tun Sie gut daran, ihm nicht die alltäglichen kleinen Hürden aus dem Weg zu räumen. Es lernt niemand auf dem Boden klettern.
Gerade im Spiel liegt unglaublich viel Potenzial, für sich etwas zu lernen (das gilt übrigens nicht nur für Kinder 🙂 ). Wird man bei diesen Enttäuschungen, die das Verlieren von Spielen mit sich bringen, dann liebevoll von anderen an der Hand genommen, ist der Nutzen weit größer als der Schaden. Und der nächste Sieg dann garantiert umso schöner!